Das Ende der Staatlichkeit
Sunday, October 24th, 2010
Es ist erstaunlich wie Grundsätzlich um einen Bahnhof gestritten werden kann. Weissgarnix hat sich Gestern die entsprechenden Probleme unter dem Titel „Demokratie à la Stefan Raab“ vorgenommen und fragt sich, wie eine Demokratie, die alle mitnehmen soll, funktionieren kann. Er geht in der Analyse aber nicht weit genug, bedroht ist nicht die Demokratie sondern der territoriale Staat, also die Einheit von Macht und Territorium. Eine sehr deutsche Definition eines solchen territorialen Gebildes hat Dietmar Pieper bei SPON verwendet:
Der Nationalstaat, in dem Staatsvolk, Sprache und Territorium eine geschlossene Einheit bilden, ist historisch gesehen eine junge Erscheinung.
Dietmar Pieper, SPON
Betrachtet man diese Definition, dann sieht man das der Nationalstaat in allen drei Punkten unter Druck gerät. Zuerst die Frage, was das Staatsvolk ausmacht. Falls das Staatsvolk durch mehr verbunden sein soll als nur durch einen gemeinsamen Pass, dann disintegriert das Staatsvolk. Ein Beispiel ist das Buch des ehemaligen Berliner Senators, die erste Reaktion der veröffentlichten Meinung war unüberlegte Ablehnung. Der Grund ist, dass im Raumschiff Bundestag diese Position einfach nicht satisfaktionsfähig ist. Ebenso ist es dank des Internets möglich sich jeden Tag mit Wirtschaftstheorie zu beschäftigen ohne gute Argumente der österreichischen Schule, also des ökonomischen Mainstreams, zu hören. Dazu reicht es, sich nur auf ein paar Blogs wie Weissgarnix, Paul Krugman und Herdentrieb zu konzentrieren. Das sind Beispiele für Parallelkulturen, die sich noch auf einen Grundkonsens einigen können, zumindest falls Ökonomie nicht zu diesem Konsens gehört.
Der zweite Punkt, die Sprache, scheint dagegen weniger unter Druck zu sein, allerdings ist es in einigen Firmen und in naturwissenschaftlichen Fakultäten durchaus üblich auf Englisch zu kommunizieren. Und es gibt subtilere Effekte, wenn es in Foren um das oben erwähnte Buch ging, fiel mir auf wie großzügig diverse Befürworter mit Ausrufungszeichen umgehen. Mir kamen diese Postings deshalb häufig wie Satire vor, denn wer nimmt schon jemanden Ernst der mehr als ein Ausrufungszeichen pro Text verwendet? Aber ein Check bei Bild.de ergab, dass dort in den Foren diese Interpunktion durchaus üblich ist.
Zuletzt erscheint zumindest das Territorium noch in der Lage den Staat zu definieren, aber die Bedeutung des Territoriums nimmt ab. Vor fünfzig Jahren konnte keine Organisation mit Gewalt einem Staat ihren Willen aufzwingen, es sei denn diese Organisation war selbst ein Staat. Der Grund war, dass man Raum kontrollieren muss um eine Armee aufzubauen. Hätte damals Siemens versucht sich zu bewaffnen, hätten sie nirgendwo Manöver abhalten können. Deshalb hätten sie keine effektive Streitmacht aufbauen können. Auf der anderen Seite sind die Organisationen die eine Cyberwaffe, wie Stuxnet, bauen können heute schon häufig Privat1. In der Zukunft wird dazukommen, dass die Ausbildung zum Drohnenpilot am Computer erfolgt, genauso wie der Einsatz. Deshalb kann ich heute zumindest theoretisch eine Armee aufbauen, ohne dabei hunderte Quadratkilometer Truppenübungsplatz zu pflügen.
Der territoriale Staat ist also in jeder definierenden Eigenschaft in Frage gestellt. Das hat aber nur Konsequenzen, wenn die Möglichkeit und der Wille zur Veränderungen besteht. Dabei sorgt die Ausdifferenzierung des Staatsvolks den Willen zur Veränderung. Zumindest eine der parallelen Kulturen wird sich marginalisiert und ohnmächtig fühlen und deshalb die Veränderung anstreben. Die Möglichkeit diese Veränderung auch durchzusetzen wird durch das verschwinden des Territoriums gegeben. Daher wird es eines Tages eine Gruppe geben, die die Souveränität einer nicht territorialen Organisation durchsetzt, das könnte ein Konzern sein der sich offensive Kapazitäten verschafft. Konzerne besitzen aber Firmenzentralen, die ein Staat bombardieren kann. Interessanter ist deshalb das Szenario, das eine Netzorganisation, Wikileaks zum Beispiel, die eigene Souveränität gegen einen Staat durchsetzt, also einen Cyberkrieg gewinnt. In der Zukunft wird es wahrscheinlich eine Menge souveräne oder quasi-souveräne Entitäten geben, die in einem ewigen Krieg einiger gegen die Anderen gefangen sind, es sei denn es schält sich eine ebenso überlegene Organisationsform wie die heutige Staatlichkeit heraus.
[Update]Aus aktuellem Anlass, mit „die eigene Souveränität durchsetzten“ meine ich nicht das verstecken vor Strafverfolgungsbehörden, sondern die Fähigkeit einen Angriff abzuschrecken.
Bild:Gizmondo CC-BY-NC
- die diversen Computersicherheitsfirmen [↩]
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